Hier finden Sie einige unserer aktuellen Lieblingstitel, die wir Ihnen gerne empfehlen möchten:
Die Tage, bevor Jaron kam
Sonja Danowski
Bohem Verlag, ab 4 Jahren, 24 €
Mara wird bald große Schwester und sie freut sich so sehr auf ihren Bruder Jaron, der in wenigen Tagen mit der Mutter eintreffen wird. In ihrem Tagebuch schreibt sie Briefe an ihren zukünftigen Bruder, die voller Liebe, Vorfreude und Zuversicht sind. Sie erzählt darin von den Vorbereitungen für Jarons Ankunft. Der Vater und ihre Stute Shira bringen einen kleinen Apfelbaum für Jaron, der neben Maras Apfelbaum gepflanzt wird. Für einen Apfelkuchen erntet sie Äpfel, aus denen sie mit ihrem Freund Matti einen Kuchen backt. Der Hund Rocky findet einen wunderbaren Ast, aus dem sie ein Mobile für Jaron bastelt. Von dem Lämmchen Wasabi und der Schäferin bekommt sie Wolle und Farbe, aus der sie eine Decke für Jaron strickt. Die Katze Rosina zeigt ihr, wie sie eine wunderschöne Wandbemalung aus Schatten malen kann. Als endlich alles fertig ist, trifft die Mutter mit Jaron ein und die Freude ist groß. Die Ankunft des Bruders ist in einer Rückblende geschrieben. Ausgangspunkt ist Jarons Dritter Geburtstag, an dem Mara ihm aus ihrem Tagebuch vorliest, von dem er nicht genug bekommen kann.
Die naturalistischen Illustrationen sind so liebevoll, farbenfroh und detailreich gemalt, dass es eine große Freude ist, dieses Bilderbuch zu betrachten. Es ist eines der schönsten Bücher zum Thema Geschwisterliebe, die mir bisher begegnet sind und es eignet sich hervorragend als Geburtsgeschenk für werdende Eltern oder große Geschwister.
Pips fliegt
Corey R. Tabor, Übersetzung Ebi Naumann Thienemann Verlag, ab 4 Jahren, 15,00 €
Ein wagemutiges, vorwitziges Eisvogelmädchen beschließt, dass heute der Tag ist das vertraute Nest zu verlassen.
Mutig stürzt es sich in das große unbekannte Abenteuer des erste Fuges.
Eine beschwingte, witzige mutmachende Geschichte untermalt mit zauberhaften Illustrationen.
Eine Mutmachgeschichte für Kinder ab 4 Jahren.
Rezension: Ulrike Boessneck-Voigt
Was Wanda will
Lena Hach Mixtvision Verlag, ab 11 Jahren, 16 €
Eine neue Schule, neue Mitschüler und eine neue Idee.
Als Wanda den ersten Tag auf ihre neue Schule geht, schaut sie sich alles genau an. Warum? Sie hat einen Plan. Einen neuen Plan für einen Einbruch. Und was braucht sie für den perfekten Einbruch? Das perfekte Team.
Durch beobachten ihrer Mitschüler stellt sich Wanda eine Gruppe für den Diebstahl
zusammen. Eine Gruppe, die gar nicht unterschiedlicher sein könnte und genau deswegen
perfekt zusammenpasst.
So legt das Team los. Jede*r Einzelne übt die ihm zugedachte Aufgabe, um in die Villa am
Stadtpark einzubrechen.
Der Plan steht und alle Mitglieder sind bereit. Was kann jetzt noch schief gehen?
In ihrem neuen Buch beschreibt Lena Hach auf eine amüsante Weise eine spannende Krimi
Geschichte, in der nicht nur Strategie, sondern auch Freundschaft und Zusammenhalt eine
wichtige Rolle spielen.
Mit kleinen Ausschnitten aus Wandas persönlichen Notizen ist das Buch die perfekte
spannende Unterhaltung für alle ab 11 Jahren.
Rezension: Marie Günther
Willkommen bei Familie Fies
Charlotte Inden, mit Illustrationen von Susanne Göhlich Hanser Verlag, 15 €, ab 6 Jahren
Es
ist ein heißer Sommer und Theo, Tom und die kleine Lotti langweilen
sich zu Hause während der Sommerferien. Mama und Papa müssen abwechselnd
im Büro und im Homeoffice arbeiten. Ein guter Zeitvertreib für die
Kinder ist mit Wasserspritzpistolen auf Leute oder Autos zu zielen, die
am Gartentor vorbeikommen oder die Blumenkästen der Nachbarn zu treffen,
die natürlich dringend gegossen werden müssen. Dass das nicht jedem
gefällt, liegt in der Natur der Sache. Da ist zum Beispiel unfreundliche
Mann mit dem schwarzen Auto und den glänzenden Schuhen, der sich über die Wassertropfen auf seiner
frisch polierten Limousine beschwert und der es, wie sie bald
herausfinden, auf die schöne Villa mit Garten der netten alten Dame von
nebenan abgesehen hat. Die drei Desperados werden Hals über Kopf in
einen wichtigen Fall verwickelt. Denn eins ist klar, der alten Dame, die
sie die furchtlose Friederike nennen und ihrer Katze „Tiger“ muss geholfen werden und die grüne Villa gerettet werden.
Rezension: Grischa Götz
Willkommen bei Familie Fies
Jenni Jennings, Illustrationen von Hannah Peck. Aus dem Englischen von Nina Frey.
dtv, ab 9 Jahren, 14,00 €
In »Willkommen bei Familie Fies« ist der Nachname Programm: Die Familienmitglieder kommen aus dem Unterland, in dem Spuk, Betrügereien und andere fiese Dinge zum Alltag gehören. Während Fionas Eltern im Oberland, in dem gewöhnliche Menschen leben, mit Spuk, Schwarzmagie und Schwindelei ihr Geld verdienen, kann sich Fiona eher weniger für all das Dunkle begeistern. Sie liest und badet gerne, pflegt Freundschaften mit Oberländern und Unheil stiften ist auch nicht wirklich ihr Ding. All dies muss Fiona vor ihren Eltern verbergen, die kein Verständnis für ihre unerhörten Neigungen haben. Nur Opa Schuftig, ein 127-jähriger Geist, der auch in der Villa Fies haust, kann Fionas Gefühle nachvollziehen. Als dieser eines Tages beim gemeinsamen Kartenspielen verschwindet, ist für Fiona klar: irgendetwas stimmt da nicht und so begibt sie sich gemeinsam mit ihrem Onkel Furi, der Privatdetektiv im Unterland ist, auf Spurensuche.
Mit kurzen Kapiteln und
wunderbaren schwarz-weiß Illustrationen, die die Szenen gut einfangen,
geht es rasant vorwärts. Fiona und Onkel Furi nähern sich nicht nur der
Auflösung dieses spannenden Detektivfalls, sondern verbringen auch Zeit
miteinander und bemerken, dass sie vieles gemeinsam haben. Die Sorge,
das Buch könne zu gruselig sein ist unbegründet, kommt der Plot doch mit
witzigen Szenen und Dialogen daher, die Lust machen, schnell
weiterzulesen. Ein schönes Kinderbuch für Leser*innen ab 8, die sich in
der dunkleren Jahreszeit nur ein wenig gruseln möchten und es sich mit
dem passenden Buch unter der Decke gemütlich machen wollen.
Rezension: Seda Çalışkanoğlu
Boy from Mars
Christian Linker
dtv, ab 11 Jahren, 12,99 €
Der Abenteuerroman „Boy from Mars“ wirft die Lesenden nicht nur ins Jahr 2099, sondern auch mitten ins Weltall. Hier wohnt der dreizehnjährige Jonto mit seinem Opa Ben. Doch als dieser stirbt, muss Jonto sein behütetes Leben auf dem Mars verlassen und auf den zerstörten und gefährlichen Planeten Erde zurückzukehren - zu seiner Mutter, die er bislang nur über Holo-Chats gesehen hat. Die fünfwöchige Reise im Raumschiff bedeuten für Jonto gleichzeitig 5 Wochen Vorbereitung für das (auch für uns aus dem Jahr 2023) fremdartige Leben auf der Erde. Mit im Gepäck hat er außerdem ein geheimes Tagebuch seines Opas, das Hinweise auf eine mächtige Superwaffe zur Rettung des Klimas liefern soll. Diesen „Future Boost“ zu finden, Millionär zu werden und auf den Mars zurückzukehren, ist Jontos größtes Ziel. Angekommen auf der Erde findet er als Junge vom Mars zunächst kaum Anschluss, weil ihm deshalb kein guter Ruf vorauseilt. Auf seiner Suche nach dem „Future Boost“ stößt er auf die mysteriöse und faszinierende Gang um Gülcan, vor der ihn seine Mutter gewarnt hat. Und es gibt eine weitere Person, der man noch weniger über den Weg laufen sollte: Blutfinger hat die illegalen Geschäfte rund um die Küste vor Neuhamburg in seiner Hand. Doch genau hierhin führen die Andeutungen Jontos Opas. Muss der Marsjunge seine Nachforschungen auf dem ihm fremden Planeten abbrechen?
Der vielfach ausgezeichnete Autor Christian Linker schafft es, ab der ersten Seite das Interesse der Lesenden zu wecken, indem er sie in eine fantastisch futuristische Welt mitnimmt, die Fragen aufwirft und Verwirrung stiftet. Man erfährt, was eine Digi-Linse, ein Holo-Chat und Bienendrohnen sind. Auf der anderen Seite wird Alltägliches auf der Erde, wie die Funktionsweise von Feuer oder Sargbestattungen, in Frage gestellt. Die fiktionale Erzählung wird mit spannendem naturwissenschaftlichem Kontext angereichert, bei dem man definitiv etwas lernen kann. Durch das literarische Herauszoomen auf einen anderen Planeten wird die Erde plötzlich ganz klein und es entsteht ein automatisches Verständnis dafür, dass die Erde Teil eines großen Ganzen ist und Bewohner von Planeten die Aufgabe haben, ihren Planeten selbst zu schützen. Dabei schafft es der Roman jedoch, Ängste und Unsicherheiten, die in Zeit der Klimakrise entstehen, aufzufangen, einzuordnen und in einem spannenden Abenteuer zu entladen.
Rezension: Sofia Miorandi
Sieben Tage Mo
Oliver Scherz. Mit Bildern von Philip Waechter
Thienemann Verlag, ab 11 Jahren, 16,00 €
In „Sieben Tage Mo“ von Oliver Scherz wird die Geschichte der Zwillinge Karl und Mo auf eine bewegende und fesselnde Weise erzählt.
„Sieben Tage Mo“ von Oliver Scherz ist ein berührender Roman, in dem wir die Geschichte der Zwillinge Karl und Mo begleiten. Mo hat eine geistige Behinderung und ist deshalb auf durchgängige Begleitung im Alltag angewiesen. Da die Mutter der beiden häufig im Krankenhaus arbeiten muss und auch der Vater die meiste Zeit auf Geschäftsreisen ist, fällt Karl diese Aufgabe zu. So verbringen die Brüder die Nachmittage zu zweit, albern zusammen herum und machen die Gegend unsicher. Dabei weckt eine geheimnisvolle Höhle ihr Interesse, die zum gemeinsamen Rückzugsort wird. Auch in der Schule ist Karl frech und sorgt für so manchen Lacher. Damit beeindruckt er besonders Nida, die er trifft, als er aus der Klasse fliegt und die genauso schlagkräftige Sprüche wie er auf Lager hat. Doch als Karl sich für sie zu interessieren beginnt, wird er plötzlich ganz schüchtern und holt sich Rat bei Mo, dessen Mut er stets bewundert. Als es zum ersten Treffen mit Nida kommen soll, trifft Mo eine folgenschwere Entscheidung, deren Auswirkung man als Leser*in unter Spannung verfolgt.
Die Stärke dieses Romans liegt im einfühlsamen, authentischen und facettenreichen Einblick in dieses individuelle Familienleben. Oliver Scherz bemüht sich um Einblicke in die Motive und Gefühle jedes Familienmitglieds. Besonders die tiefe Bindung zwischen den Brüdern zieht die Lesenden sofort in ihren Bann. Da der Roman aus Karls Perspektive geschrieben ist, bekommt man besonders bei ihm eine Vorstellung von seiner ambivalenten Gefühlswelt, die von Überforderung und Wut bis zu unendlicher Liebe und Glück reicht: Karl will Abstand von Mo, vermisst ihn aber dann - er wünscht sich, dass seine Mutter seine Belastung wahrnimmt, will ihr aber auch zeigen, dass er mit Mo alles im Griff hat - er will mit den anderen Fußball spielen und dazugehören, aber akzeptiert ihr Verhalten Mo gegenüber nicht.
„Sieben Tage Mo“ gelingt die Balance zwischen wichtigen Denkanstößen und einer spannenden Geschichte, die man kaum aus der Hand legen kann.
Rezension: Sofia Miorandi
Die Tochter der Mondgöttin
Sue Lynn Tan
Carlsen Verlag, ab 14 Jahren, 17,00 €
Xingyin ist die Tochter der Mondgöttin aus den alten Mythen. Zusammen mit ihrer Mutter lebt sie abgeschieden auf dem Mond. Sie ahnt nicht, dass ihre Existenz verheimlicht wird, um sie vor dem Himmlischen Kaiser zu verstecken, der einst ihre Mutter auf den Mond verbannte. Doch als ihre magischen Kräfte erwachen, muss sie flüchten und ist gezwungen ihre Mutter und ihr Heim zu verlassen. Sie schwört sich, eines Tages zurückzukehren und ihre Mutter zu retten – koste es, was es wolle. Ihr Weg ist aber kein leichter und führt sie direkt ins Himmlische Königreich und damit in die Hände derjenigen, vor denen sich Xingyin am meisten hüten sollte. Sie muss ihre wahre Identität verheimlichen, auch vor dem Kronprinzen Liwei, dem sie langsam näherkommt. Ein riskantes Spiel beginnt, das das gesamte Königreich ins Verderben stürzen könnte.
Sue Lynn Tan entführt Ihre Leser und Leserinnen in eine fantastische und abenteuerliche Welt voller Magie und Gefahren. Dank ihres bildhaften Schreibstils fällt es leicht, in die Geschichte einzutauchen und dem abwechslungsreichen Setting zu folgen. Die Autorin schmückt nichts übertrieben aus. Jedes Wort scheint zu sitzen. Die Geschichte wird nicht unnötig in die Länge gezogen, um einen Spannungsbogen aufzubauen, und anstatt dadurch nüchtern und distanziert zu wirken, gelingt es der Autorin der Geschichte Leben einzuhauchen, sodass man das Gefühl bekommt von Seite zu Seite zu schweben.
„Die Tochter der Mondgöttin“, von Sue Lan Tan ist der Auftakt einer Diologie und ein Lesemuss für alle, die das Fantasy-Genre schätzen. Eine wunderschöne Geschichte über Magie, mystische Wesen und eine spannende Reise voller Überraschungen, Abenteuer, Erfolge und Rückschläge. Eine komplette Welt, die Ihren Lesern und Leserinnen nach und nach ihre Geheimnisse enthüllt.
Rezension: Natalia Ivanova
Japan yahho!
Eva Offredo. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Moritz Verlag, ab 9 Jahren, 22 €
Was nimmt Mooskundlerin Midori mit, wenn sie m Morgengrauen in den Wald aufbricht? Wie bereitet sich die Sumoringerin Rin auf ihre Gegnerinnen vor? Und warum hat sich die Papierdrachenkünstlerin Sora auf „Kami-tobi“, Papierfalken, spezialisiert?
Diese und viele weitere Fragen beantwortet Autorin und Illustratorin Eva Offredo in diesem wunderbar illustrierten Kindersachbuch. Auf jeweils fünf Doppelseiten stellt sie acht Frauen im heutigen Japan vor, die ihren verschiedenen Berufen mit großer Leidenschaft nachgehen. Die besondere grafische Gestaltung in minimalistischen, aber detaillierten Bildtafeln lädt zum Entdecken ein – Kinder wie Erwachsene können hier viel Neues erfahren. Sparsam eingesetzte Erklärtexte bieten zusätzliche Informationen und erläutern japanische Begriffe. Künstlerin Eva Offredo nimmt uns mit auf eine Reise in unterschiedliche Regionen Japans und macht uns mit beeindruckenden Frauen und spannenden Berufen bekannt. Ein außergewöhnlich gestaltetes, sehr inspirierendes Buch.
Rezension: Malu Schrader
Glow - Das wundersame Leuchten der Natur
Jennifer R. N. Smith. Aus dem Englischen von Ulrike Hauswaldt
cbj, ab 8 Jahren, 20 €
Licht! Jeder kennt es. Es kommt von der Sonne, einem Lagerfeuer, einer Lampe oder dem Fernseher. Das Sachbuch Glow beschreibt noch eine andere Art von Licht und Leuchten. Die Biolumineszenz. Manche Tiere oder Pflanzen sind in der Lage im Dunkeln zu Leuchten. Von den bekannten Glühwürmchen, über Meerestiere bis zu leuchtenden Pilzen. Nicht nur wie etwas leuchtet, sondern auch warum wird erklärt. Seit wann kennen wir dieses Leuchten? Was ist das Rezept für Licht? Alle diese Fragen werden in Glow erklärt. Mit einem Glossar, wo alle Fachbegriffe nachgeschlagen werden können und schönen, aufregenden Illustrationen hat Jennifer Smith eine perfekte Mischung aus interessant, informativ und kindgerecht getroffen. Damit ist das Sachbuch das ideale Geschenk für alle interessierten Kinder ab 8 Jahren.
Rezension: Marie Günther
No Regrets
Dietlind Falk
Hanser Verlag, 22 €
Hänk und Muddy, zwei abgehalfterte Ruhrpott-Originale, haben seit Jahrzehnten ein Tattoostudio, das No Regrets. Was sie nicht haben: ausreichend Kundschaft. Eines Tages steht die junge Tätowiererin Luz in der Tür. Sie ist auf der Suche nach einer neuen Wirkungsstätte und verzweifelt genug, um es im No Regrets zu versuchen. Während Muddy weiß, dass sie neue Wege gehen müssen, um den Laden zu retten, ist Hänk gar nicht begeistert, dass sich irgendwas verändern soll. Zwischen Bierflaschen, Metal und einem ausgestopften Alligator versucht sich die Schicksalsgemeinschaft zusammenzuraufen.
Zum Schreien komisch und gleichzeitig ernsthaft, bevölkert von liebenswerten, schrulligen Figuren – Dietlind Falks zweiter Roman und sein frischer Sound sind ein echtes Ereignis. Ob man sich für Tattoostudios interessiert oder nicht, ist dabei völlig nebensächlich – lassen Sie sich den „No Regrets“-Kosmos nicht entgehen.
Rezension: Malu Schrader
Vatermal
Necati Öziri
Claassen Verlag, 25 €
Als Arda mit Organversagen im Krankenhaus liegt, resümiert er sein Leben und die große Leerstelle darin: die schmerzende Abwesenheit seines Vaters und das Fehlen von männlichen Vorbildern. Und so beginnt er, seine und die Geschichte seiner Familie zu erzählen, die er an seinen Vater adressiert: teils anklagend, teils verständnisvoll, mit radikaler poetischer Intensität lotet Necati Öziri die Identitätssuche und migrantisches Leben in Deutschland aus. Aus Versatzstücken und Fragmenten bastelt sich Arda so eine Familienbiografie, die berührt, Herzklopfen verursacht, lachen und trauern lässt: »Ich weiß nicht, ob deine Geschichte, so, wie ich sie mir aus den Bruchstücken zusammenbaue, stimmt. Aber wenn ich es mir so vorstelle, dann kann ich deine Entscheidung vielleicht sogar verstehen. Zumindest ein bisschen.«
Das Motiv des Verlusts verbindet sie, nachdem Vater Metin die Familie eines nachts verlässt. Mehrere Jahre soll er in der Fleischerei am Fließband gearbeitet haben, doch war auf Metin mit seiner desillusionierten Art und seinem Hang zum Glücksspiel und Alkohol ohnehin kein Verlass und Mutter Ümran diejenige, die lange Zeit die Fäden zusammenhielt, sich um Aylin und Arda kümmerte. Aber auch Metin verlor einst jemanden, der ihm wichtig war: seinen Bruder, der in der Türkei von Rechten ermordet wurde. Durch Metins Unterstützung einer linken militanten Organisation, musste er aus seiner Heimat fliehen und lernt in Deutschland Ümran kennen, die ihm bei der Übersetzung seines Asylverfahrens hilft. Und so setzt Arda zusammen, was sie alle verbindet, sie alle sind Menschen mit Fehlern und Stärken. Manche taugen eben weniger als Väter, Ardas Versuch, mit seinem Vater abzurechnen, wird dabei auch zum vorsichtigen Nachspüren eigener Vorstellungen von Männlichkeit und Identität.
»Wir selbst wurden einander die Väter, die wir nicht hatten. Wir nannten uns gegenseitig oğlum, schlugen uns aus Spaß in die Nacken, verteilten Prügel an andere und strahlten auf den Bänken durch unsere bloße Anwesenheit Gefahr aus. Wir übten, ihr zu sein, auch weil es die anderen von uns erwarteten.«
Öziri zeigt immer wieder die beschwerliche Lebensrealität der in Deutschland geborenen Kinder von Einwandererfamilien, ihre individuellen Traumata, die stark von den Unsicherheiten ihrer Biografien und Eltern geprägt sind, von denen sie sich aber versuchen freizustrampeln. Mal werden Arda und sein Freund Savaş von Mitschüler*innen rassistisch beleidigt, dann sehen sie das Gebäude der Ausländerbehörde öfter als ihnen lieb ist und sind mehrmals von Racial Profiling betroffen.
Doch erarbeitet sich Arda eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und erlangt nach 18 Jahren voller Schikane endlich die deutsche Staatsangehörigkeit, ein Befreiungsschlag, der eine Zäsur in seinem Leben einläutet. Ab hier nun endlich nach seinen Spielregeln, auch wenn er das Gefühl niemals abschütteln kann, kein »Bio-Deutscher« zu sein.
Öziris Debüt ist nicht nur höchst literarisch, es ist ebenso Zeugnis und Abbild einer in der deutschen Literatur immer noch zu wenig beachteten Perspektive, ohne dabei larmoyant oder ostentativ zu sein. Repräsentanz und Einblicke in migrantische Lebensrealitäten gehen hier Hand in Hand, mit wenigen Pinselstrichen kreiert Öziri plastische Figuren, denen man gerne folgt, die man trotz oder gerade wegen ihrer Fehler liebgewinnt. Es ist ein Buch übers Scheitern, Weitermachen, vom Suchen und Finden, Ankommen und Weggehen sowie Vergessen und Heilen. Eine große Leseempfehlung und mein Buch des Jahres, das versöhnlicher auf eigene Fehler und die der Eltern blicken lässt.
Rezension: Seda Çalışkanoğlu
Tot oder lebendig
Ariana Zustra Frankfurter Verlagsanstalt, 22 €
Anna Thurow ist fast 30 und lebt in Ostdeutschland; eine klassische Grüblerin, die sich gerne in Details verliert und als Figur zuweilen ein kleinwenig ambivalent wirkt: Denn einerseits liebt sie Pommes, auf der anderen Seite findet sie Genuss unsinnig. Das liegt daran, dass sie mit ihren knapp 30 Jahren schon lebensüberdrüssig ist, obwohl oder gerade, weil sie mit ihrer Identität hadert. Mittelmäßigkeit ist sozusagen Annas zweiter Vorname – wer sie kennenlernt, hat ihr Gesicht spätestens einen Tag später wieder vergessen.
Nach einem Zusammenbruch auf der Arbeit erhält Anna eine Diagnose vom Arzt, wird arbeitsunfähig geschrieben und landet zufällig bei einer Hypnotiseurin, denn: »Wenn alles sinnlos ist, kann man auch zum Hokuspokus gehen.« Dies ist nur einer der vielen wunderbar komischen Sätze, die eine Leichtigkeit in diesen Roman bringen. Obwohl sich Ariana Zustra schwerer Themen wie mentaler Gesundheit und den Gräueltaten im Jugoslawienkrieg annimmt, verharmlost oder negiert sie an keiner Stelle das Leid, das mit diesen Themen verknüpft ist.
Am Ende geht Anna mit drei Wörtern aus der Hypnosesitzung: Andri, Aschkenasi und Ragusa. Sie sei die Reinkarnation Andris, einem jüdischen Mann. Was folgt ist die abenteuerliche Spurensuche vor der traumhaft pittoresken Kulisse Dubrovniks.
Romane,
die sich mit Identitätskrisen und deutschen Leerstellen in Bezug auf
europäische Geschichte befassen, gibt es viele. Aber es gibt wenige, bei
denen man laut auflachen muss, bspw. wenn Anna Thurow über einen sexy
Jesus phantasiert, der mit Sicherheit viele Liebhaber*innen gehabt haben
muss und im heutigen Leben sicherlich Wasserballspieler wäre.
Gleichzeitig hält Zustra den Finger in die Wunde und zeigt, dass
literarischer Anspruch und Humor nicht miteinander konkurrieren müssen.
Ein großer Lesespaß!
Rezension: Seda Çalışkanoğlu