Hier finden Sie einige unserer aktuellen Lieblingstitel, die wir Ihnen gerne empfehlen möchten:
Dackel sucht Freund
Maria Nilsson Thore
Oetinger Verlag, ab 4 Jahren, 14,00 €
Er liebt ausgefallene
Hüte, hat ein Faible für Kreuzworträtsel und scheint ein echter Kaffeetrinker
zu sein. Außerdem geht er auf zwei Beinen. Irgendwie ist dieser Dackel anders
als die anderen Hunde. Stöcke und Knochen sammelt er zwar auch, aber eher im
musealen Sinn - mit kleinen daran gebunden Zettelchen zu Fundorten. Er sehnt
sich nach einem Freund, aber obwohl er sich sogar ein rotes Halsband umlegt und
mutig im Hundepark Kontakt sucht, klappt es irgendwie nicht. Gerade will er
sich zurück in seiner Wohnung resigniert einen Kaffee aufschütten, da klingelt
es an seiner Tür und ein äußerst beschwingter Pudel bittet um Einlass. Ob das
gut geht?
Die Schwedin Maria
Nilsson Thore verleiht dem Klassikerthema Freundschaft ein neues Gewand, in dem
sie es in die Hundewelt verlegt. Mit großartigem Witz und Charme stattet sie
Figuren und Setting aus und erzählt in Text und Bild vom Glück anders zu sein
und einen Freund zu haben. Hier zeichnet offensichtlich eine Hunde- und
Menschenkennerin!
Anna Winkler-Benders
Dachs und Rakete. Ab in die Stadt!
Jörg
Isermeyer, Kai Schüttler
Beltz
Verlag , ab 6 Jahren, 15,00 €
Herr Dachs
und Schnecke Rakete leben im Wald unter einem großen Baum und führen ein gemütliches
Leben zu zweit. Doch eines Tages steht ein Bagger vor ihrem Eingang und macht
alles platt, denn hier soll ein Naturerlebnispark entstehen. Hals über Kopf
müssen die beiden ihre Sachen zusammenpacken und ausziehen. Doch wohin wissen
sie auch nicht so genau. Nachdem sich auf dem Land kein neues Plätzchen findet,
beschließen sie in die Stadt zu ziehen, denn wo viele Menschen leben, gibt es
auch viel Platz, so glauben sie zumindest. Die Reise ist so abenteuerlich, dass
sie unterwegs schon viel von ihrem Gepäck loswerden müssen. Mit glücklicher
Fügung ergattern sie eine Wohnung in der Stadt. Dass dort vieles anders ist als
auf dem Land, müssen sie noch lernen.
Mit viel
Witz und Liebe zum Detail erzählt Jörg Isenmeyer die Geschichte dieser beiden
originellen Protagonisten, die noch viel von unseren täglichen Lebensabläufen lernen
müssen, z.B. dass man sich an Marktständen nicht einfach so bedienen darf, man
erst Geld bekommt, wenn man arbeitet, dass Straßenbahnen nur an bestimmten
Haltepunkten halten und dass man Bretter nicht im Supermarkt kaufen kann. Besonders
witzig fand ich den Bummel durch das Einkaufszentrum, wo die beiden alles ausprobieren
und Spaß haben. Sie essen leckere Häppchen, tanzen zu rockiger Musik, lachen
über Witze in lustigen Büchern und probieren abgefahrene Kleidungsstücke an.
Die originellen Illustrationen von Kai Schüttler sind perfekt auf den Text
abgestimmt und lassen die witzigen Situationen lebendig werden.
Grischa Götz
Die Nelsons greifen nach den Sternen
Erin Entrada Kelly
Deutscher Taschenbuch Verlag, ab 10 Jahren, 14,00 €
„Die Familie
Thomas war wie ein eigenes Sonnensystem. Planeten, die auf ihren Umlaufbahnen
kreisten. Nein, keine Planeten. Eher Meteore oder Weltraumschrott. Schwebende Objekte,
die manchmal zusammenstießen oder mit Wucht aneinanderkrachten und dann
zerbrachen.“(S. 28) So viel zur Wertschätzung innerhalb der Familie Thomas. Drei
Kinder im (fast) Teenageralter sind notgedrungen Teil davon. Cash (13), der
eine Klasse wiederholen muss, und nun mit seinen kleineren Geschwistern (beide
12) in der gleichen Klassenstufe festhängt. Fitch, der jede freie Minute in der
Spielhalle verbringt und unter Wutausbrüchen leidet und Bird, die am liebsten
detaillierte Schaupläne von Dingen zeichnet, die sie umgeben (Videorecorder,
Kassetten, Familiensysteme) und begeistert vom Weltraumthema in der Schule ist.
Aus allen drei Perspektiven erzählt Entrada Kelly, lässt Leser*innen an
Wünschen und Ängsten teilhaben und den jeweiligen Umgang mit dem überforderten
und ewig streitenden Elternpaar erleben. Hier spielen sich große und kleine
Dramen ab, geht es um Träume, Rollenzuschreibungen („Dein Ding ist schlau sein“)
und um Verletzungen („Manchmal machst du mehr Ärger als du wert bist“). Es geht
um Freundschaft, Familie und Geschwisterliebe, darum den oder die andere
wahrzunehmen und Worte mit Bedacht zu wählen. Kelly besitzt eine große Gabe
anhand minimaler Gesten oder Äußerungen vom Universum der Zwölfjährigen zu
erzählen. Zwischen Lässigkeit und innerer Unsicherheit, den eigenen Weg zu
finden - und dafür überhaupt Raum zu
haben. „We dream of space“ lautet denn auch der so viel treffendere
amerikanische Originaltitel.
Von Entrada
Kelly auch außergewöhnlich gut: Vier Wünsche ans Universum. (Deutscher
Jugendbuchpreis 2019, Sparte Kinderbuch)
Anna Winkler-Benders
16 x zum Himmel und zurück
Marlies Slegers
Dressler Verlag, ab 10 Jahren, 15,00 €
Seit Pelles Vater an Krebs verstorben ist, ist auch er fast verschwunden.
Seine Welt wurde auf den Kopf gestellt und seine Mutter ist ihm keine große
Hilfe. Auch sie versinkt in Trauer und funktioniert nur noch. Ob Pelles Vater
das geahnt hat? Er hat vorgesorgt und 16 Briefe an Pelle geschrieben, die ihm
seine Mutter nach einem Jahr überreichen soll. Nun ist es soweit und dieser
Schuhkarton mit all diesen Briefen ist eine wahre Schatzkiste. In jedem davon
findet Pelle eine Aufgabe, die er erfüllen soll und so beginnt eine Zeit voller
Abenteuer, in der er langsam zum Leben zurückfindet.
Einen Brief pro Woche darf er öffnen und Pelle kann es kaum
erwarten bis diese 7 Tage jeweils vergehen.
Keine neue Idee, aber wundervoll für Kinder umgesetzt. Ein
berührendes Buch zu einem Thema, welches wir nicht tabuisieren sollten, denn
der Tod gehört zum Leben dazu. Pelle ist nicht allein, denn er hat auch
Freunde, die er im letzten Jahr nur nicht wahrgenommen hat.
Manon Weinbrenner
Ungebremst
Ruthe Anne Byrne
Tulipan Verlag, ab 11 Jahren, 15,00 €
Seit ihrem Reitunfall vor zwei Jahren sitzt Nina im Rollstuhl.
Sie hat sich längst damit arrangiert, aber ein „normales“ Leben ist seitdem
nicht möglich und das hat nichts mit ihrem Rollstuhl zu tun, sondern mit den
Menschen in ihrem Umfeld, allen voran ihrer Mutter. Sie lässt sie nicht aus den
Augen. Nina möchte ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen und bekommt Hilfe
von einem Menschen, von dem sie das am wenigsten erwartet hat.
Fabian, der sie in Begleitung seiner Freunde ständig mobbt,
ist eigentlich ganz nett, sobald man auf ihn allein trifft.
Eine wunderschöne Freundschaftsgeschichte, die zeigt, dass
viele Grenzen nur in unseren Köpfen zu finden sind und dass wir alles schaffen
können, wenn wir Vertrauen in uns haben und die richtigen Menschen an unserer
Seite.
Manon Weinbrenner
London Whisper - Als Zofe ist man selten online
Aniela Ley
Deutscher Taschenbuch Verlag, ab 12 Jahren, 15,00 €
Eine Reise in die Vergangenheit! Die 15 jährige Zoe findet sich nach einer heimlichen Party in
ihrem englischen Internat plötzlich im 19. Jahrhundert wieder! Als Zofe in einem adeligen, hoch
angesehen Londoner Haushalt muss sie sich nun zurechtfinden. Gott sei Dank dauert es nicht
lange, bis Zoe einige Freundinnen und Unterstützer gefunden hat. Aber in der Vergangenheit
lauern auch düstere Gefahren, denn es gibt Menschen, die um jeden Preis herausfinden möchten,
wie das Zeitreisen funktioniert. Gemeinsam mit Hayden, der ebenfalls in der falschen Zeit
gelandet ist, versucht sie, schneller zu sein als der geheimnisvolle Orden der grauäugigen Männer
und das Geheimnis der Zeitreise zu lüften.
„London Whispers“ ist für alle, die gerne die Luft aus vergangenen Zeiten schnuppern und der
perfekte Schmöker für die Ferien.
Marike de Wall
Swing High. Tanzen gegen den Sturm
Cornelia Franz
Gerstenberg Verlag, ab 14 Jahren, 16,00 €
Hamburg 1939, der zweite Weltkrieg hat begonnen. Menschen werden rekrutiert, schließen
sich der SS oder HJ an oder gehen in den Widerstand. Aber gibt es noch andere
Möglichkeiten?
Der 16-jährige Henri und seine Freunde wählen einen anderen Weg. Sie versuchen den
Alltag auszublenden. Gehen ins Schwimmbad, ins Kino und auf Partys.
Denn es gibt eine Beschäftigung welche die „Swingheinis“ lieben, die neuste Jazzplatte auf
dem Grammofon hören und „hotten was das Zeug hält“. Ob der Flat Foot Floogie oder der
Tiger Rag, das bedeutet für die Freunde Freiheit.
In ihrem Roman erzählt Cornelia Franz die spannende Geschichte von Jugendlichen, die
sich immer an der Grenze der damaligen Gesetzte bewegen.
Statt in den HJ-Dienst zu gehen tanzen Sie den Lambeth Walk auf der Schlittschuhbahn.
Heimliche Partys und öffentliche Auftritte. Doch bleiben alle bei diesem Leben? Wem kann
ich Vertrauen?
Die rebellischen, mutigen Swings nehmen die Leser*innen mit auf einen spannenden,
packenden Weg mitten während des zweiten Weltkriegs. Also den Flat Foot Floogie
anmachen und anfangen zu lesen.
Marie Günther
Dschinns
Fatma Aydemir
Hanser Verlag, 24,00 €
Zum Renteneintritt erfüllt sich Hüseyin Yilmaz einen besonderen
Wunsch: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Dreißig Jahre lang hat er in
Deutschland hart gearbeitet, jetzt freut sich der 59-Jährige auf seinen
Ruhestand – und erliegt am ersten Tag in der neuen Wohnung einem
Herzinfarkt. Seine Frau und die Kinder reisen zur Beerdigung aus
Deutschland an. Sehr unterschiedliche Menschen und ihre Sicht auf die
Vergangenheit, ihr früheres Zusammenleben, auf Deutschland und die
Türkei treffen aufeinander. Fatma Aydemir erzählt aus sechs
verschiedenen Perspektiven die Geschichte einer Familie, in der man
einander irgendwie verbunden, aber oft auch sehr fremd ist. Mit dem Tod
des Vater brechen alte Wunden auf, lange Verschwiegenes wird endlich
erzählt, anderes bleibt verborgen. Die Geschichte jeder Figur spricht
für sich, gleichzeitig fügt die Autorin sie kunstvoll zu einer
schmerzhaft ehrlichen Familiengeschichte und darüberhinaus zu einem
Gesellschaftspanorama zusammen. In einem Interview** sagte Fatma
Aydemir, es gehe ihr „um eine soziale, politische Frage: Welche
Geschichten erzählen wir von uns und welche nicht, um in einer
Gemeinschaft akzeptiert zu werden?“ – wie die Autorin dieser Frage in
ihrem Roman auf unterschiedlichen Wegen nachspürt, ist großartig zu
lesen.
** „5 Fragen an … Fatma Aydemir“ https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/dschinns/978-3-446-26914-9/
Marie Luise Schrader
Der Erinnerungsfälscher
Abbas Khider
Hanser Verlag, 19,00 €
Said al
Wahid ist angehender Schriftsteller und lebt mit seiner Frau und seinem kleinen
Sohn in Berlin. Als er von seinem Bruder die Nachricht erhält, dass seine
Mutter im Sterben liegt, nimmt er den nächsten Flug nach Bagdad. Die Reise in
die Heimat, die er seit vielen Jahren nicht besucht hat, weckt Erinnerungen in
ihm. In vielen einzelnen Rückblenden erfahren wir Teile seiner Lebensgeschichte:
von seiner Kindheit im Irak, von seiner langen Flucht nach Deutschland und seinem
Kampf mit den deutschen Behörden bis zum Erhalt seines deutschen Passes und von
seinen Besuchen in der Heimat. Wie einzelne Puzzleteile fügen sich die
Erinnerungsfetzen, die nicht chronologisch erzählt werden, nach und nach zu
einem Ganzen zusammen. Dabei ist der Prozess des Erinnerns ein zentraler Teil
des Buches, der reflektiert und hinterfragt wird. Said merkt, dass seine
Erinnerung ihn in manchen Teilen im Stich lässt und in seinem Gedächtnis Lücken
verbleiben. Auf der Suche nach den Ursachen und der Wahrheit stößt und er an
seine Grenzen und muss dafür als Schriftsteller eigene kreative Lösungen finden. Er muss sich „die Zusammenhänge ausdenken“
und „die Erinnerung erfinden“ damit er die Geschichte als Ganzes erzählen kann,
was ihm meisterhaft gelingt.
Abbas
Khiders Roman hat mich tief berührt und ergriffen. Als Leser leidet man mit
Said, als sein Vater ermordet wird und seine geliebte Schwester bei einem
Bombenangriff ums Leben kommt und er hilflos und verzweifelt in Deutschland
sitzt und nichts tun kann. Die überwältigenden Erinnerungen führen dazu, dass
er sein Ich in zwei Identitäten aufspaltet und sein Leben strikt trennt
zwischen dem Leben in Deutschland mit Frau und kleinem Sohn und dem Leben im
Irak mit seinen Erinnerungen und den aktuellen Schreckensmeldungen. Der Roman
hat eine regelrechte Sogwirkung, die einen mit hineinzieht in das Geschehen, in
den Prozess des Erinnerns, der manchmal schön, oft aber auch sehr schmerzlich ist.
Grischa Götz
Die Nächte der Pest
Orhan Pamuk
Hanser Verlag, 30,00 €
1901: Auf der, am östlichen Mittelmeer gelegenen,
fiktiven Insel Minger des Osmanischen Reiches, bricht die Pest aus. Die
paradiesische Insel mit zahlreichen Orangenbäumen, nach Rosen und Linden
duftenden Straßen und belebten Kaffeehäusern, auf der sonst geselliges Treiben
vorzufinden ist, wird nun von Angst und Stille abgelöst.
Orhan Pamuk, Literaturnobelpreisträger und Virtuose des
postmodernen Erzählens, hat nun endlich wieder einen Roman vorgelegt. Mit 700
Seiten reiht sich dieser Roman, der keinen Anspruch auf Historizität erhebt,
dabei doch aber ganz wunderbar und stellenweise detailgetreu die letzten
Jahrzehnte des Omanischen Reichs wiedergibt, in das Œuvre
ein und sticht doch völlig hervor.
Seine Erzählerin ist diesmal, anders als in seinen bisherigen Romanen, eine
weibliche Figur. Eine „waschechte“ Mingerin, deren Urgroßmutter die Nichte des
Sultans Abdülhamit II. und Tochter von Murat V. ist. Anhand von Briefen der
Urgroßmutter Pekize Sultan an ihre Schwester Hatice Sultan und zahlreichen Nachforschungen
in Archiven durch die Erzählerin selbst, konstruiert Pamuk seinen opulenten
Roman und lässt uns im Vorwort doch gleich in das postmoderne Labyrinth mit
seinen angereicherten Metalepsen eintauchen.
Vor der Folie des sich andeutenden Untergangs des Osmanischen Reichs und der Unterminierung des Sultans sowie seiner Macht und dem Narrativ des „kranken Mann am Bosporus“ werden sechs Monate auf Minger geschildert, die von Chaos, Tod, Anarchie, Leugnung, einem phlegmatischen Verwaltungsapparat und Intrigen geprägt sind. Auf Minger leben zu gleichen Teilen Christ*innen und Muslim*innen, etwas, worauf die Insel stolz ist. Doch die Pest und das vermeintliche Vorgehen bei der Seuchenbekämpfung tragen dazu bei, dass sich das Volk spaltet. Manche flüchten sich in religiösen Fatalismus, andere versuchen zu fliehen, wiederum andere bewahren sich die Menschlichkeit und versuchen mit wissenschaftlichen Methoden der Pest Herr zu werden. Gegenseitige Schuldzuweisungen eröffnen Räume für Machtspiele Einzelner und Gruppen, die nicht unbedingt das Wohlergehen des Volks im Sinne haben.
Pamuk schafft es trotz der zahlreichen Figuren und Nebenerzählungen
seinen Roman nicht zu überladen und verquickt nicht nur Historisches mit
Fiktivem, er lässt auch noch einen Mord geschehen, der im Stile Sherlock Holmes
aufgeklärt werden soll. Er skizziert und kritisiert bestehenden und entstehenden Nationalismus und
nicht selten entlockt er mit seinem Gespür für Figuren, Details und
Kenntnisreichtum ein Schmunzeln. Ein wunderbarer Schmöker für geschichtsaffine
Leser*innen.
Hervorragend aus dem Türkischen übersetzt von Gerhard Meier.
Seda Caliscanoglu