Hier finden Sie einige unserer aktuellen Lieblingstitel, die wir Ihnen gerne empfehlen möchten:
Dachs & Strupps und die wunderliche Seereise
Cecilia Heikkilä. Aus dem Schwedischen von Katja Maatsch. Dragonfly Verlag, 15 €, ab 4 Jahren.
Auf einer abgelegenen Insel lebt der in die Jahre gekommene Dachs. Einst war er als Kapitän auf den Weltmeeren unterwegs, aber nun im Alter verbringt er seine Tage ruhig und geordnet. Der Dachs säubert seinen Strand, schaut nach der Post, und schaut vom Haus aus auf das Meer, während er seine Beobachtungen sorgfältig niederschreibt. Überraschungen, die kann er gar-nicht gebrauchen. Seine Zeit der wilden Abenteuer ist vorbei… bis ein kleines struppiges Weser an den Strand seiner Insel gespült wird. Das kleine Tier hält den Dachs gehörig auf Trab. Als dann auch noch ein Sturm aufzieht, der das geliebte alte Segelboot des Dachses mitreißt, geraten die beiden in ein Abenteuer, dass sie nie erwartet hätten. Es ist nie zu spät, um noch etwas Neues zu erleben.
Warmherzig und mit sanft gezeichneten, farbenfrohen Illustrationen erzählt die schwedische Autorin und Grafikdesignerin Cecilia Heikkilä, die bereits viele Leser und Leserinnen mit ihren wundervollen Mumin Bildern begeisterte, eine Geschichte vom Aufbrechen und Ankommen und wundervollen Freundschaften, die Jung und Alt in ihren Bann reißt.
Rezension: Natalia Ivanova
Lieblingspulli
Pauline Pete Kuntanstifter Verlag, 22 Euro, ab 4 Jahren
In dem Bilderbuch "Lieblingspulli" von Pauline Pete erzählt ein Mädchen
von ihrer Oma und ihrem Lieblingspulli,den ihre Oma für sie gemacht hat.
Sie liebt die beiden über alles und sie erleben viel zusammen. Auch als
es ihrer Oma langsam schlechter geht, halten sie zusammen...
Lieblingspulli ist ein wunderschön illustriertes Bilderbuch. Es erzählt
auf einfache und liebevolle Weise von den Erlebnissen des Mädchens mit
ihrer Oma und ihrem Pulli, aber auch vom Tod und der Erinnerung an einen
geliebten Menschen.
Lilli Linde (Praktikantin)
Hilda Hasenherz. Die Abenteuer im Fuchswald
Tobias Goldfarb. Mit Illustrationen von Verena Körting Schneiderbuch Verlag, ab 6 Jahren, 14,00 €
Hilda
Hasenherz lebt mit vielen anderen Buddelhasen in einem Bau unter einem großen
Möhrenfeld und muss täglich unzählige Karotten ausgraben. Diese sind angeblich
für Prinz Lämpchen bestimmt und sie dürfen nicht gegessen werden. Dafür sorgt
der strenge Baron von Ratzezahn mit seiner Giftspinne Ottilie. Hilde träumt von der großen Freiheit und liebt
die Abenteuergeschichten von Großmutter Graupfote. Als eines nachts das
Mondlicht durch einen Spalt in den Bau fällt, ist Hilda so verzaubert, dass sie
den Entschluss fasst zu fliehen. Auf ihrer gefährlichen Flucht und ihrer
abenteuerlichen Reise durch den Wald lernt sie verschiedene Tiere kennen, die
sie begleiten und ihr helfen, den alten Fuch Sam Grau zu finden und den gemeinen
Baron von Ratzezahn zu überlisten und zu besiegen.
Diese tierische Abenteuergeschichte ist nicht nur unglaublich spannend
geschrieben, sondern auch unheimlich fantasievoll und originell, was die
Handlung und die Charaktere anbelangt. Sie zeigt, dass man im Kleinen schon Großes bewirken kann. Hilda ist anfangs nur eine Buddelhäsin,
die in einem System der Unterdrückung und Ausbeutung arbeitet. Durch ihren Mut,
ihre Klugheit und ihre Unerschrockenheit schafft sie es, über sich hinauszuwachsen, vieles zu verändern und damit alle Buddelhasen zu befreien und die
Königsfamilie zu retten. Meine Kinder haben dieses Buch geliebt und mit Hilda
mitgefiebert! Als große Kaninchenliebhaberin habe ich mich nur gefragt, warum
die Protagonistin ein Hase ist und kein Kaninchen, da Feldhasen gewöhnlich
nicht unter der Erde leben.
Rezension: Grischa Götz
Himmelwärts
Karen Köhler. Mit Illustrationen von Bea Davies.
Hanser Verlag, ab 10 Jahren, 19,00 €
Toni und ihre beste Freundin YumYum haben sich zum Zelten im
Garten verabredet: Mit einem selbstgebastelten kosmischen Radio wollen
sie Kontakt zu Tonis verstorbener Mutter aufnehmen. Toni vermisst ihre
Mutter sehr – zum Glück hat sie mit YumYum eine
großartige Weltraumexpertin und Freundin an ihrer Seite. Was man für
eine Nacht im Garten unter Sternen noch braucht? Ausreichend Snacks
natürlich! Gut, dass die beiden ihr Taschengeld der letzten Wochen weise
eingesetzt haben – und gut, dass dort draußen
in der Weite des Weltalls tatsächlich jemand zu erreichen ist …
Mit „Himmelwärts“ hat Karen Köhler („Miroloi“, „Wir haben Raketen
geangelt“) ihr erstes Buch für Kinder geschrieben – und auch hier einen
Volltreffer gelandet. Die witzigen Dialoge, die starken Hauptfiguren
und Karen Köhlers ganz eigener literarischer
Sound machen dieses Buch wirklich unvergesslich.
Rezension: Malu Schrader
Die Gurkentruppe
Leslie Niemöller. Mit Illustrationen von Liliane Oser
Moritz Verlag, ab 5 Jahren, 12,00 €
Schwein Hans lebt allein in einem kleinen Häuschen am Waldrand und wünscht sich einen Spielpartner.
Da kommt Ben der Bär genau richtig. Er ist sehr schüchtern und ziemlich
ängstlich, doch im Beisein von Hans verfliegt seine Schüchternheit
schnell. Zu ihnen gesellen sich nacheinander der
Hase Toto mit einem totalen Ordnungsfimmel, das an Heimweh leidende
depressive Zebra Tayo aus Afrika und der zappelige Biber Nick, der
niemals stillsitzen kann. Obwohl sie so unterschiedlich sind und jeder
seinen eigenen Spleen hat, harmonieren sie wunderbar
zusammen und finden ihr Glück in der Gemeinschaft.
Das Schöne daran ist, dass die Andersartigkeit eines jeden
toleriert wird und als etwas Normales dargestellt wird. Komplexe Themen
wie Anderssein und Diversität werden mit einer großen Leichtigkeit und
viel Humor rübergebracht. Durch den Sprachwitz und die Situationskomik
wird das eigentlich
ernste Thema aufgelockert und bringt kleine und große Leser*innen zum
Lachen. Die humorvollen und kindgerechten Illustrationen tragen
zusätzlich dazu bei, dass sich Kinder bei dieser kleinen originellen
Geschichte zum Vor- und Selberlesen köstlich amüsieren und sich vielleicht auch selbst in der ein oder anderen Figur wiederfinden.
Rezension: Grischa Götz
New Dragon City. Eine verbotene Freundschft.
Mari Mancusi
Arena Verlag, ab 10 Jahren, 16,00 €
Urplötzlich sind sie aufgetaucht und haben eine Apokalypse auf der Welt ausgelöst. Drachen! Die überlebenden Menschen sind gezwungen gewesen sich zu verstecken. Der junge Noah ist einer davon. Gemeinsam mit seinen Eltern verbrachte er Jahre in einem Bunker, bis sie sich einer kleinen Gruppe anschlossen. Jetzt verbringen sie die Winter, während die Drachen schlafen, an der Oberfläche, auf der Suche nach Vorräten. Doch im Sommer müssen Noah und die anderen hinab in die U-Bahn-Schächte von New York steigen, um vor den Monstern in Sicherheit zu sein.
In diesem Winter ist jedoch alles anders… Die Drachen erwachen viel zu früh! Und zu allem Übel scheint Noahs Mutter wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Als sein Vater entscheidet an der Oberfläche zu bleiben und seine Frau zu suchen, folgt Noah ihm unbemerkt und steht plötzlich einer der riesigen Echsen gegenüber. Eine Begegnung, die alles verändern wird!
„New Dragon City – Eine verbotene Freundschaft“ von Mari Mancusi ist eine dystopische Erzählung über Feindschaft, Familie und Freundschaft, die im zukünftigen New York spielt. Die Geschichte wird aus der Sicht von Noah, einem 12-jährigen Jungen erzählt, der durch die Drachen nahezu alles verloren hat, und ebenso durch das Drachenmädchen Asha. Durch die Figuren erleben die Lesenden beide Perspektiven des Krieges zwischen Menschen und Drachen. Ein Buch voller Spannung und unerwarteter Wendungen, das zeigt, was Unwissenheit und Vorurteile anrichten können und wie wichtig gegenseitiges Verständnis ist.
Rezension: Natalia Ivanova
Popcorn süß-salzig
Lena Hach Mixtvision Verlag, ab 12 Jahren, 16,00 €
Die 16 jährige Ruby ist soweit sehr zufrieden mit ihrem Leben. Mit Jara und Matteo hat sie zwei super beste Freunde. Sie versteht sich sehr gut mit ihrer Mutter, mit der sie allein in einem schönen Haus mit Garten lebt. Im Moment ist ihre größte Sorge, welche Leistungskurse sie für nächstes Jahr wählen soll.
Obwohl sie sich generell schwer tut mit Entscheidungen, wie zum Beispiel welches Gericht sie zum Mittag essen soll oder ob sie lieber süßes oder salziges Popcorn für den Film haben möchte, muss sie bei dem Angebot ihres Mitschüler Guillaume nicht lange überlegen. Er und sein bester Freund Phil wollen doch tatsächlich, dass Ruby die Fake Freundin von Phil spielt, um seine Ex-Freundin eifersüchtig zu machen. Auf so ein Angebot gibt es nur eine Antwort: Nein.
Doch Guillaume lässt sie nicht in Ruhe und dann passiert auch noch etwas anderes unerwartetes. Phil fängt an zu existieren. Auf einmal trifft und sieht Ruby Phil überall: auf den Gängen, im Sekretariat, in ihrem Physikkurs oder auf der Exkursion ins Theater. Und es ist kein unbedeutendes, zufälliges Aufeinandertreffen. Als Tochter einer Autorin erkennt sie sofort, dass die Treffen jedes Mal vollgepackt sind mit den wiederkehrenden Motiven aus romantischen Komödien, sogenannten „Tropes“.
Als Ruby und Phil dann auch noch ein Referat zusammen halten müssen, lernen sich die beiden allerdings besser kennen und merken, dass sie sich gar nicht so schlecht verstehen. Sie fangen an tatsächlich Zeit miteinander zu verbringen und schon bald ist Ruby gezwungen, noch mehr schwierige Entscheidungen zu treffen.
In ihrem Jugendroman beschreibt Lena Hach die etwas andere Liebesgeschichte einer emanzipierten und taffen jungen Frau und zeigt den Leser*innen eine andere Sichtweiseauf das Genre der Romantischen Komödie. Durch den entspannten und lustigen Schreibstil ist die Lektüre perfekt dafür geeignet am Stück durchgelesen zu werden. Mit Hilfe der Fachbegriffe und deren Erklärung, werden alle Leser*innen nebenbei noch Experten im Thema „Tropes“ in Filmen und Bücher.
Rezension: Marie Günther
RETRO. Geh nicht online
Jarrod Shusterman, Sofia Lapuente. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Andreas Helweg und Pauline Kurbasik.
Fischer Sauerländer Verlag, ab 12 Jahren, 16,90 €
Limbo.
Die social Media Seite. Hochladen, Teilen, Kommentieren, Follower Sammeln
Wie die meisten verbringt auch Luna einen Großteil ihrer Zeit in der angesagten App. Die sechzehnjährige Teenagerin lebt ihr normales Zitrone-Limette Leben in einer kleinen Stadt in Nordkalifornien. Sie geht zur Schule, zum Fußballtraining und arbeitet im Kino ihrer Familie.Doch das impulsive Hochladen eines Videos verändert alles.
Luna setzt etwas in Gang, was sich schnell in einen Shitstorm verwandelt, den sie nicht mehr stoppen kann. In der Hoffnung etwas zu verändern, wendet sich Luna an die Verantwortlichen der social Media Seite.
Daraufhin kommt Limbo an ihre Schule, um mit freiwilligen Schüler*innen eine neue Form vonWettbewerb auszutesten. Die RetroChallange. Ein Jahr ohne jegliche technische Geräte. Alles, was nach der Jahrtausendwende erfunden wurde, darf nicht genutzt werden. Wie könnte sie ihren Fehler besser wieder gut machen, als komplett auf Technik zu verzichten. Und damit ist sie nicht alleine. Alles läuft nahezu perfekt, bis auf einmal Schüler*innen anfangen zu verschwinden. Mit ihren neu gewonnen Freund*innen versucht Luna herauszufinden, wer oder was hinter den ungewöhnlichen und angsteinflößenden Vorkommnissen steckt. Durch ihre Gedanken, Gefühle und Probleme nehmen uns die so unterschiedlichen und sympathischen Protagonist*innen, mit in einen Alltag, den alle nachempfinden können. Die facettenreiche und realitätsnahe Geschichte fesselt Leser*innen von der ersten Seite an.
Verpackt in einer schönen, lustigen und spannenden Geschichte beschreiben Sofía Lapuente und Jarrod Shusterman die Gefahren, die öffentliche Plattformen mit sich bringen: dass Posts, die wir wieder löschen und nicht mehr sehen, trotzdem noch da sind und wie verletzend Kommentare von anonymen fremden Menschen sind und auch, dass für die Firmen hinter den Algorithmen, Sicherheit und Datenschutz meistens nicht die oberste Priorität sind.
Shusterman und Lapuente zeigen uns, wie schön, aufregend und befreiend es sein kann, einfach mal das Handy, den Laptop und sonstiges beiseitezulegen und ungefiltert den Tag zu erleben.
Also einfach mal den Flugmodus anstellen, vielleicht ein Buch schnappen und ein bisschen Retro sein.
Rezension: Marie Günther
ALIENS Verblüffendes Wissen über unbekanntes Leben im All
Joalda Morancy und Amy Grimes. Aus dem Englischen von
Cornelia Panzacchi.
Fischer Sauerländer Verlag, ab 8 Jahren, 19,90 €
Glaubt ihr an Aliens ? Die meisten haben schon mal von den kleinen grünen Menschen gehört, aber sind sie wirklich grün? Was genau sind Aliens eigentlich? All diese Fragen und vieles mehr zum Thema außerirdisches Leben werden in diesem Sachbuch von Joalda Morancy und Amy Grimes beantwortet.
Angefangen mit den Voraussetzungen für intelligentes Leben, über die Erklärung von vergangenen Verschwörungstheorien, zu möglichen Orten von außerirdischem Leben, erklärt uns die Autorin auf welche Art und Weise die Menschen den Weltraum erforschen. Die Leser*innen erfahren, auf welchen Planten die Wissenschaftler nach Leben suchen, was für Geräte und Techniken dafür verwendet werden und warum genau an diesen speziellen Orten gesucht wird. Über eine wissenschaftliche Herangehensweise wird den Leser*innen nicht nur der Mythos der Aliens, mit seinen Ideen und Theorien, nährgebracht, sondern auch der allgemeine Aufbau des Sonnensystems und des Universums erklärt.
Joalda Morancy ist Gelehrte Astrophysikerin, arbeitet als Ingenieurin für Luft- und Raumfahrttechnik und betreibt einen Spacepodcast für Kinder. In Ihrem Buch erklärt und beschreibt sie die Informationen auf angenehme und verständliche Art und Weise. Mit den vielen schönen Illustrationen und den anschaulichen Schaubildern von Amy Grimes ist das Sachbuch perfekt für alle interessierte Leser*innen ab 8 Jahren.
Rezension: Marie Günther
Der ehrliche Finder
Lize Split: Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. S. Fischer Verlag, 18
Euro. Für Erwachsene, aber auch geeignet für Jugendliche ab 14 Jahren.
Bovenmeer, 1990er Jahre: Tristan ist mit seiner Familie durch halb
Europa vor dem Krieg im Kosovo geflüchtet. Als sie in dem belgischen
Dorf ankommen, wird Tristan Ibrahimi in der Schule neben Jimmy gesetzt.
Eine glückliche Fügung für beide: Der einsame,
etwas nerdige Jimmy findet in Tristan erstmals einen Freund und bemüht
sich unablässig darum, Tristan und seiner Familie das Ankommen zu
erleichtern. Jimmy wiederum findet bei den Ibrahimis den
Familienanschluss, nach dem er sich sehnt, und alles entwickelt
sich in eine wirklich gute Richtung – bis die Familie Ibrahimi eine
erschütternde Nachricht erhält.
Lize Spit erzählt in ihrem dritten Roman von Krieg und
Verzweiflung, aber auch von Freundschaft und Hoffnung. Wieder schafft
sie es, eine fieberhafte Spannung aufzubauen und uns tief in die Welt
von Jimmy und Tristan einsteigen zu lassen. Het Nieuwsblad
hat den Roman „ein literarisches Juwel, das die beste Werbung für die
Kraft von Literatur ist“ genannt – dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Rezension: Malu Schrader
Mein Name ist Estela
Alia Trabucco Zerán. Aus dem chilenischen Spanisch übersetzt von Benjamin
Loy. Hanser Verlag Berlin, 24 Euro
Estela ist seit sieben Jahren als Hausangestellte bei einer Familie in Santiago beschäftigt, für die sie tagein tagaus putzt, kocht, sich um das Kind, Haus und die Familie mit all ihren Nöten und Sorgen kümmert. Das Geld, das Estela beiseitelegt, schickt sie ihrer Mutter, die aus dem Süden Chiles stammt und ebenfalls lange Zeit als Hausangestellte beschäftigt war. Doch nach sieben schweren Jahren, die sich wie eine Last auf den Schultern Estelas anfühlen, und eine Zäsur in ihrem Alterungsprozess markieren, geschieht etwas Schlimmes: Das Mädchen der Familie stirbt. Und Estela beginnt ihren mündlichen Bericht und legt Zeugnis ab: War sie etwa für den Tod des Kindes verantwortlich?
Wem sie von den sieben Jahren der körperlichen Plackerei und den Seelenqualen erzählt, außer uns Leser*innen, ob der Polizei, der Staatsanwaltschaft – letztlich spielt es keine Rolle. Doch Estela kann ihre Geschichte erzählen, ohne dass sie unterbrochen wird. Vielleicht ist es sogar das erste Mal nach vielen Jahren, in denen Estela mehr als ein paar Sätze sagen darf und nicht hinter ihrer Arbeitsschürze verschwindet.
Estela holt weit aus, ihre Geschichte wird retrospektiv erzählt. Seite um Seite treten ihre ambivalenten Gefühle deutlich zutage. Immer wieder packt sie der Wunsch zu kündigen, zurückzugehen in den Süden. Ihre Mutter riet ihr, die Familie nicht ins Herz zu schließen und doch kann Estela nicht anders, es ist wie beim Stockholm Syndrom. Gleichzeitig sind da diese große Distanz und Kluft – Estela eben nur eine Angestellte und kein Familienmitglied, die Klassenunterschiede zwischen ihnen könnten größer nicht sein.
Estelas Geschichte ist eine, die es sicher tausendfach oder noch öfter gibt, doch selten finden sie Gehör. Nur im Falle der Umstände bekommen wir sie zu lesen, nur in Ausnahmefällen treten Menschen wie Estela in Erscheinung. Der schmale Roman der chilenischen Autorin Alia Trabucco Zerán ist ein Kammerspiel des Grauens und ein Psychogramm einer Frau, die sich durch die Arbeit fast vollkommen auflöst und in deren Inneres man dennoch nicht vollständig vordringt. Bis zum Schluss hält die Autorin den Spannungsbogen aufrecht und findet die richtige Sprache, die wunderbar austariert ist zwischen nüchtern und literarisch. Ein starker, intensiver und bewegender Roman!
Rezension: Seda
Çalışkanoğlu